Samstag, 24. Januar 2009
 
Buch: Gegen den herrschenden Zeitgeist PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Dieter Braeg   
Montag, 31. März 2008

Günther Schwarberg
„Das vergess ich nie“
Erinnerungen aus einem Reporterleben

Günther Schwarberg erzählt sein Leben und wir alle sollten dankbar sein, dass er dieses Buch vollenden konnte. Es ist die Lebensgeschichte eines Menschen, der sein ganzes Leben, von der Jugend angefangen, die Welt mit kritischen Augen betrachtete und den „Zeitgeist“ der immer nur ein Geist der Herrschenden war und ist, immer kritisch begegnete. Er überlebte mit Glück den Nationalsozialismus.

Er gehörte zu jenen, die im Nationalsozialismus in Uniformen gesteckt wurden: „Mein Haß auf das Militär und den Militarismus werden unauslöschlich.“ Wo andere „von nichts gewusst“ haben und bald nach der Befreiung Deutschlands so weitermachten wie immer, blieb Schwarberg bei dem, was er selbst gespürt und gelebt hatte in jungen Jahren, so war seine lebenslange Richtschnur: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“. Bei ihm gab es auch keine Zweifel dazu, wie eng Profitinteressen der Eigentümer der Produktionsmittel Faschismus und Krieg verschuldet hatten.

Das eigene Leben und die Arbeit zu beschreiben, misslingt oft. Bei Günther Schwarbergs Autobiografie ist das ein wenig anders. Hier erlebt und erliest man Geschichte, die in der offiziellen Geschichtsschreibung gerne verdrängt und vergessen werden. Hier wird die Macht der Produktionsmittelbesitzer und ihre Art des Umgangs mit dem Menschen, der nicht im Mittelpunkt steht, sondern der Profitmaximierung dient, schonungslos öffentlich gemacht.

Ein Beispiel unter vielen:
„Im März 1968 bekomme ich von unserem Mann in Stockholm eine interessante Information; Die schwedische Firma „Scania Vabis“, die dort den Volkswagen verkauft, hat 90 Unfälle mit VWs untersucht, bei denen der Wagen verbrannt ist, auch einige Fahrer. In allen Fällen ist bei dem Aufprall der Tankdeckel abgesprungen und das Benzin herausgespritzt. In keinem einzigen Fall hatte der Tank Löcher oder Risse. Deshalb entwickelt Scania Vabis einen Sicherheitsverschluss, der bei Zusammenstößen nicht abspringen kann. Allen schwedischen VW-Besitzern wird das Angebot gemacht, kostenlos den Tankdeckel auszutauschen. Bis zum 12. März 1968 haben schon 76 Prozent aller schwedischen VW-Eigentümer den Tankdeckel ausgetauscht.

„Ich schicke ein Fernschreiben an Herrn Budde in der VW-Pressestelle: Können Sie uns das bestätigen? Gibt es einen ähnlichen Austauschplan für die Bundesrepublik? Keine Antwort. Nach ein paar Tagen bittet Henri Nannen mich in sein Zimmer: Sie haben ja schön was angerichtet in Wolfsburg! Herr Budde war aufgeregt hier und hat mich dringend gebeten, darüber nichts zu veröffentlichen. Der nächste VW wird mit einem Sicherheitsdeckel ausgeliefert.

„Und die Leute mit alten VWs sollen in ihren Kisten verbrennen?
Ach, hören Sie doch auf! Die Tankdeckel werden jetzt schon bei der Inspektion ausgetauscht. Nur alle auf einmal – das schaffen die nicht.“

Dieses Buch bietet Geschichte, die man nicht in Geschichtsbücher schreibt oder im Geschichtsunterricht vermittelt und so ist es jenen zu empfehlen, die noch jung sind, um ihnen den Blick zu öffnen für die Realitäten der Schweinereien die in diesem, nicht unserem Land immer noch unter die Decke gekehrt werden.

Da erzählt Schwarberg die Geschichte des Bundespressechefs Felix von Eckardt. Nach Kriegsende bekam er wegen seiner braunen Vergangenheit keine Lizenz, um Chefredakteur des „WESER KURIER“ zu werden. Als Leiter des politischen Ressorts dieser Zeitung mobbte er einen Kommunisten und KZ-Überlebenden aus der Redaktion. Dieser Felix von Erhardt war auch Adenauers Pressemann und Staatssekretär und ließ im Jahre 1962 den Major Waldemar Pabst, den Mörder Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, im Bulletin der Bundesregierung mit einer Rechtfertigung dieses Mordes zu Wort kommen.

Wie schäbig in den beginnenden Zeiten des Kalten Krieges mit Antifaschisten umgegangen wurde, durfte Schwarberg oft genug erleben. Im Jahre 1952 gelang es ihm, mit Thomas Mann ein Interview zu führen. Das bot er 900 Tageszeitungen an, eine, das Stader Tageblatt veröffentlichte das Gespräch. Kommentar der Tageszeitung Neue Westfälische Zeitung: „Wir können uns mit einer ganzen Welt versöhnen, aber nicht mit Thomas Mann.“ Wie war das in der Nazizeit, was sagte Joseph Göbbels? „Thomas Mann soll ausgelöscht werden aus dem Gedächtnis der Deutschen, da er nicht würdig ist, den Namen Deutscher zu tragen.“

Für Schwarberg kommen schlechte, antikommunistische, Zeiten. Überleben und dabei sich nicht seine Anständigkeit abkaufen zu lassen, war schwierig in jener Zeit. Trotzdem gelingt es ihm, bei der Frauenzeitschrift Constanze einen aufdeckenden Artikel zum Conterganskandal unterzubringen. Dann arbeitet er 25 Jahre beim Stern. Es sind so viele Themen, Ereignisse, die Schwarberg einem großen Leserkreis berichtet – ob es der Kindermord am Bullenhuser Damm oder der Justizmord am Kommunisten Fiete Schulze ist – er kämpft gegen dieses „davon habe ich nichts gewusst“ an, das heute ersetzt wird durch das „nun muss es doch endlich genug sein“ – als könnte man die Naziverbrechen versenken im Nebel einer Rechtslastigkeit, die nach 1945 zuließ, das Justiz, Ärzteschaft und Verwaltung so weitermachte und besetzt blieb, als hätte man den Nazi-Staat nie besiegt.

Unrecht stinkt und Freiheit ist ein unabdingbarer Zustand, für den man kämpfen muss. Dies ist eine Geschichte Deutschlands, die so, wie sie 409 Seiten erzählt wird, in jeder Schule gelesen und erzählt werden muss. Es darf nicht verdrängt werden, dass es einmal diesen kritischen Journalismus gab, der der Zeit keinen Mantel des Schweigens anzog.

Wie lange wird es noch kritischen Jourmnalismus geben, der in der Lage ist, diesen globalen Informationsfluss auseinander zu nehmen, die Fragen zu stellen und Antworten zu liefern, die der Welt ein wenig Menschlichkeit lassen und diese durch Wort, Schrift und Spiele vergifteten Köpfe und Gedanken durchzulüften, damit es die Lebenslügner nicht so leicht haben, uns eine Welt vorzugaukeln die aus dem Wort Reform eine Todesdrohung werden lässt, bei der man verhungern, erfrieren und verdursten kann?


Günther Schwarberg: „Das vergess ich nie“ – Erinnerungen aus einem Reporterleben-
Steidl Verlag Göttingen 2007. 407 Seiten – ISBN 978 3 86521 560 4 19,90 €


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